Eigentlich ist es eine Nachricht, über die Transferwise gerne reden müsste. Es ist der 26. Mai, das Londoner Fintech-Startup hat am Vortag eine Finanzierung von 26 Millionen US-Dollar verkündet. Mit Baillie Gifford konnte das 2011 gegründete Unternehmen eine renommierte Investmentfirma als Geldgeber gewinnen. Und trotzdem wird Nilan Peiris einsilbig, als die Sprache auf das Thema kommt. Man kommentiere keine Finanzierungsrunden, sagt der Vizepräsident für das Wachstum bei Transferwise. Man spreche auch nicht darüber, wofür das Geld genutzt werden solle. Und über die Bewertung habe man noch nie geredet.
Warum Transferwise so ungern über die aktuelle Finanzierung redet, lässt sich nur vermuten. Ein Bericht des US-Portals Techcrunch [1] legt nahe, dass die Bewertung ein Grund dafür sein könnte. Das Startup soll nun mit 1,1 Milliarden Dollar bewertet sein. Das würde früheren Berichten widersprechen, wonach das Unternehmen diese Bewertung schon früher erreicht habe, schreibt Techcrunch. Was das Portal damit sagen will: Entweder waren die Artikel falsch oder das Startup hat, wenn überhaupt, nicht wesentlich an Wert gewonnen. Ob es sich um eine sogenannte Downround handelt, also das Startup tatsächlich an Wert verloren hat, wollte Peiris gegenüber t3n nicht beantworten. „Wir haben weniger Geld eingenommen“, sagt er. „Ich denke nicht, dass man mehr dazu sagen muss.“
Disruption oder Desillusion?
Wozu sich mehr sagen lässt: Dass sich die Situation für Fintech-Firmen derzeit nicht gerade einfach darstellt. Bisher galten die Startups als Heilsbringer der Finanztechnologie, als Hoffnungsträger für alle frustrierten Bankkunden. Mit günstigen Überweisungen, einem voll vernetzten Girokonto oder auch einem komplett neuen Finanzsystem wollen Unternehmen wie Transferwise, N26 und das Startup Blockchain die Banken ablösen – oder zumindest in Bedrängnis bringen. Doch nach dem Boom kommt die Nachhaltigkeitsdiskussion: Die ersten Experten zweifeln bereits an der Fintech-Revolution. Einige schreiben von „Entzauberung“, andere sprechen von einer „Fintech-Blase“. Doch was ist tatsächlich kurzfristiger Hype, was ernstzunehmender Boom?
Noch scheinen die Investoren an die Bankenherausforderer zu glauben. Die Ratingagentur Moody’s [2] schätzt die Anzahl der jungen Finanz-Unternehmen auf 4.000 weltweit, Barkow Consulting [3] zufolge sollen 400 davon in Deutschland sitzen. Sammelten die Startups global 2011 noch 2,4 Milliarden Dollar ein, so kamen sie 2015 insgesamt auf 19 Milliarden Dollar – ein Plus von fast 700 Prozent.
Doch die Zahlen bilden in diesem Fall nur die Vergangenheit ab. Dass die Funding-Summen weiter steigen werden, ist unwahrscheinlich. Denn die Geldgeber investieren mittlerweile vorsichtiger, der Markt kühlt ab. Als der Gründer Max Levchin Anfang 2016 nach Investoren für sein Startup Affirm suchte, merkte er das deutlich: „Alle haben uns erzählt, dass das Umfeld gerade wirklich brutal sei und dass wir uns auf eine Downround einstellen sollten“, so Levchin in einem Interview [4].
Auch ein Blick auf die Kundenzahlen junger Fintechs ernüchtert. Transferwise zählt mit einer Million Nutzern zu den Spitzenreitern. Das gehypte Berliner Startup N26 kommt noch auf 200.000, Funding Circle spricht von 54.000 Investoren und die Peer-to-Peer-App Cringle von 30.000 Nutzern. Zum Vergleich: Die Commerzbank zählt 16 Millionen Privatkunden, die Sparkassen sogar 50 Millionen. Um den Banken ernsthaft gefährlich zu werden, müssen die Startups noch einen weiten Weg zurücklegen.
„Noch ganz am Anfang des Weges“
Fragt man Martin Hellmich, dann steht Fintech noch ganz am Anfang dieses Weges. Auf einer Skala von eins bis zehn sieht er die Entwicklung der Branche höchstens bei zwei. „Viele Fintech-Startups haben bisher keine wirklich disruptiven Geschäftsmodelle hervorgebracht“, sagt der Professor der Frankfurt School of Finance and Management. Stattdessen hätten sie lediglich ein Angebot der Banken genommen und eine schöne App dazu gebaut. Die meisten bräuchten zudem immer noch die alteingesessenen Geldinstitute, um überhaupt agieren zu können.
Ganz unrecht hat Hellmich damit nicht. Das Finanzgeschäft ist reguliert: Wer alternative Bezahlung, automatisierte Anlageberatung oder Finanzverwaltung anbietet, braucht oft eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) oder einen Partner, der von ihr abgesegnet ist. Ein Zwiespalt für Startups: Einerseits wollen sie die Banken herausfordern, sie gar ersetzen. Andererseits kommen sie ohne die Finanzinstitute nicht weit.

Transferwise ist ein Beispiel dafür. Das Geschäftsmodell des Startups: Auslandsüberweisungen. Ein Angebot, das zum Portfolio fast jeder Bank zählt. Das Londoner Unternehmen will sich von ihnen abheben, in dem es bis zu acht Mal günstigere Tarife als traditionelle Finanzinstitute verspricht. Es argumentiert, dass diese intransparente Gebühren erhöben, Transferwise hingegen offen kommuniziere. Doch obwohl es die Konkurrenz direkt angreift, sagt Nilan Peiris auch: „Wir müssen mit Banken arbeiten.“ Für wahre Disruption brauche es Partnerinstitute. Transferwise selbst kooperiert deshalb mit diversen Banken in unterschiedlichen Ländern. Ähnlich sieht es auch bei anderen Fintech-Unternehmen aus: Das Berliner Startup Lendico, das Kredite von Privatperson zu Privatperson vermittelt, arbeitet mit Wirecard zusammen. Das Unternehmen Weltsparen, das hohe Zinsen verspricht, setzt unter anderem auf die Kooperation mit der Hanseatic Bank. Und Vaamo bietet die Geldanlage per Web mit Hilfe der FFB an [5].
Die Fintechs nehmen dadurch eine Doppelrolle ein – als Herausforderer und Bittsteller. Das stößt auch auf Kritik. Manche bemängeln, dass die Startups den Herausforderer nur für die Öffentlichkeit mimten. In Wirklichkeit wollten Fintech-Gründer gar nichts Neues kreieren, sondern ihr Unternehmen nur zu einem guten Preis an die Banken verscherbeln. Mit den Partnerschaften würden sie eine erste Grundlage dafür schaffen. Erste Übernahmen gab es bereits: Die Privatbank Hauck und Aufhäuser erwarb im Mai das Startup Easyfolio, die spanische Bank BBVA kaufte im März den finnischen Geschäftskonto-Anbieter Holvi.
Die allgemeinen Regulierungen der Bafin stellen aber nur eine Hürde für Startups da. Auch neue Regeln erschweren den jungen Spielern auf dem Markt die Arbeit. So verschickte die Bafin im Juni ein Schreiben zum Videoidentifizierungsverfahren. Hinter dem bürokratischen Begriff steckt eine Regelung, bei der sich Kunden per Videochat mit ihrem Personalausweis identifizieren können. Das Startup N26 wirbt sogar damit, dass es dank dieses Verfahrens nur acht Minuten dauere, um ein Konto zu eröffnen.
Die Bafin wollte die digitale Verifizierung verschärfen. Kunden
sollten zusätzlich von einem anderen Konto Geld auf das neueröffnete
übertragen, die Firmen sollten die Profile ihrer künftigen Nutzer in den
sozialen Medien recherchieren. Aus Regulierungssicht eine sinnvolle
Maßnahme, sind Personalausweise doch nur ein Anhaltspunkt für die
Identifikation. Den Startups hätten die zusätzlichen Schritte aber Vorteile genommen: Die Anmeldung wäre nicht mehr so schnell und
einfach abgelaufen. Gerade durch die nutzerfreundliche Bedienung wollen sich Startups von Banken unterscheiden. Glück für die Fintechs:
Mitte Juli setzte die Finanzaufsicht die Regelung vorerst aus. Das
Beispiel beweist aber, wie wenig disruptiv die Geschäftsmodelle sind, wenn schon eine minimale Änderung an der Nutzerführung die ganze Branche in Aufregung versetzt.
Politische Unwägbarkeiten
Zu all diesen regulatorischen Unwägbarkeiten kommt die politische Entwicklung – wie am 23. Juni. Die Briten stimmten an dem Donnerstag über den Verbleib in der Europäischen Union ab. Eine Mehrheit entschied sich gegen den Staatenbund, die Brexit-Befürworter setzten sich durch. Ein Schock – vor allem für die Finanzbranche in London. Denn sowohl für Banken als auch für Fintechs stellt sich seitdem die Frage: Wie geht es weiter? Martin Hellmich sieht „regulatorische Unsicherheiten“ auf die gesamte Industrie zukommen. „Wenn ich heute ein Produkt einführen will, weiß ich als Unternehmen nicht, wie die Regelung in einem Jahr aussieht“, sagt der Experte. Das mache Geschäfte schwierig.
Auch wenn die Effekte noch nicht abzusehen sind, sorgt der britische EU-Austritt die Fintechs. Für das Londoner Startup Transferwise stellte die englische Hauptstadt bisher den perfekten Standort dar. Noch im Mai pries Nilan Peiris die Vorteile: London bilde die perfekte Mischung aus Tech-Szene und Finanzindustrie. Doch schon vor dem Referendum änderten sich die Töne innerhalb des Unternehmens. Sollte es zu einem Brexit kommen, würden andere Städte wie Berlin oder Paris „attraktiver“ erscheinen, sagte Transferwise-Gründer Taavet Hinrikus gegenüber Reuters. Man prüfe derzeit die Optionen. Auf Nachfrage von t3n klingt diese Aussage zwar nun etwas vorsichtiger. „Es gibt viele Unbekannte, es ist also schwer zu sagen, welchen Effekt der Brexit auf den breiten Tech-Sektor haben wird“, so Hinrikus. Rückschläge erwartet der Fintech-Gründer dennoch: Es sei wahrscheinlich, dass Regulierung und Recruiting beeinflusst würden.
Betroffen sieht sich auch das Berliner Startup N26. Es sitzt zwar selbst nicht in London. Aber: „Sollten die Briten tatsächlich austreten, fallen 20 Prozent unseres Binnenmarktes weg“, sagt Gründer Valentin Stalf im Gespräch mit t3n. Das sei ein Nachteil für Europa insgesamt, weil sich der Absatzmarkt verringere.
Abgesehen von der europäischen Ungewissheit steht die Fintech-Branche auch jetzt schon unter Druck. Auf dem deutschen Markt zeichnet sich eine erste Konsolidierung ab. Ende April musste das Startup Paymill Insolvenz anmelden – nachdem ein Verkauf scheiterte. Kurz darauf fand es zwar trotzdem einen Interessenten, der Preis dürfte aber deutlich geringer ausgefallen sein als ursprünglich anvisiert. Auch das crowdfinanzierte Unternehmen Paymey ging 2015 pleite. Mit Funding Circle und Zencap sowie Sum-up und Payleven haben sich zudem die ersten Firmen zusammengeschlossen, um gemeinsam auf dem Markt der Geschäftskredite beziehungsweise Kartenzahlung zu kämpfen.
Folgt auf den Fintech-Hype also die Ernüchterung? Fängt das Fintech-Sterben an, wie es Unternehmer Carsten Maschmeyer in einem Interview prognostizierte?
Blockchain als Speerspitze
Das kleine Büro im Londoner Osten kommt beeindruckend unspektakulär daher, zumindest gemessen an dem Faktor, dass hier gerade eine komplett neue Finanzwelt entsteht. Ganz Startup-mäßig steht eine Tischtennisplatte in den Räumen, die Wände sind weiß gestrichen, nur unterbrochen durch ein blaues B gegenüber der Tür. Wenige Menschen sitzen an ihren Schreibtischen. Auch Nicolas Cary, schwarzes Shirt, graue Kappe, Hornbrille, sieht nicht unbedingt wie jemand aus, der der Finanzindustrie viel anhaben könnte. Doch genau daran arbeitet er in diesen Räumen.
Cary hat 2011 mit Peter Smith und Ben Reeves das Startup Blockchain gegründet, ursprünglich in der britischen Kleinstadt York. Die drei Gründer haben ihr Unternehmen nach der gleichnamigen Technologie
benannt, auf Empfehlung der Community. Cary hofft, dass seine Firma
einmal so universell für das Thema stehen wird wie Tempo für
Taschentücher oder Hoover für Staubsauger. „Wenn Leute sagen ‚Guck dir
die Blockchain an‘, dann will ich, dass sie uns meinen“, sagt er. Sein
Unternehmen bietet nicht nur eine durchsuchbare Website, auf der sich
jede Transaktion, die jemals mit Bitcoin getätigt wurde, finden lässt.
Das Startup hat auch weitere Produkte wie ein digitales Wallet sowie
diverse APIs entwickelt. Derzeit arbeitet Cary mit Hilfe der sogenannten
Thunder-Technologie daran, den Stau bei Transaktionen zu verringern,
also Überweisungen schneller zu machen.
Wenn der Unternehmer über Fintech redet, dann in Superlativen. „Im digitalen Zeitalter gab es bislang zwei große Tsunamis“, sagt Cary. 1999 sei es der E-Commerce gewesen, er habe den Einzelhandel überschwemmt, überlebt hätten Marktplätze wie Amazon. In den 2000er Jahren habe sich alles um soziale Netzwerke gedreht, Facebook und Twitter entstanden und revolutionierten die Informationswege. Der nächste Tsunami forme sich in der Fintech-Industrie, sagt Cary. „Finanzdienstleistungen haben sich zwischen 1957 und heute fast überhaupt nicht verändert. Das ist eine Billionen-Industrie, die noch nicht von der digitalen Ära profitiert.“ Wenn man seiner Vision glaubt, dann erfinden Fintechs gerade neu, wie wir Geld auf der ganzen Welt ausgeben.

Die Vision von Cary deutet darauf hin, dass die Fintech-Szene zwar die ersten Rückschläge hinnehmen musste, dass die Disruption der Finanzindustrie aber noch lange nicht abgeschlossen ist. In der Welt, die der Blockchain-Gründer entwirft, wird es irgendwann kein Bargeld, keine unterschiedlichen Währungen mehr geben. Wer glaubt, dass es sich dabei um ein weit entferntes Zukunftsszenario handelt, irrt. Selbst die Finanzinstitute nehmen die Vision ernst. Die Deutsche Bank und die Commerzbank experimentieren bereits mit der Blockchain-Technologie. Wie heiß sie gerade ist, zeigt sich auch daran, wie viele IT-Fachleute sich an ihr versuchen. „Die besten Entwickler und Programmierer der Welt arbeiten heute alle an der Blockchain“, sagt Cary. Das sei für ihn das erste Indiz, dass die Technologie tatsächlich revolutionär sei.
Es braucht aber nicht immer eine bahnbrechende Technologie, um Teil eines Tsunamis und den Banken gefährlich zu werden. Im Fall von N26 reichte ein offizielles Dokument: Das Berliner Unternehmen gab im Juli bekannt, eine Banklizenz der Europäischen Zentralbank und der Bafin erhalten zu haben. Ein Weg, den viele Fintechs gehen könnten, aber auf den sich nur wenige tatsächlich trauen. N26 hat nach langem Marsch das Ziel erreicht. Bisher musste das Startup mit Wirecard zusammenarbeiten, um Bankgeschäfte abwickeln zu dürfen. Nun erkennen die Aufseher die Berliner Firma als eigenständige Bank an. Das Startup ist plötzlich unabhängig, es ist nicht länger Bittsteller – sondern ebenbürtiger Herausforderer der Finanzinstitute. Was das bedeutet, lässt Valentin Stalf auf Nachfrage anklingen: N26 wird die Zusammenarbeit mit Wirecard kündigen. Stalf und sein Mitgründer Maximilian Tayenthal wollen den Kunden außerdem Spar-, Investitions-, Kredit- und Versicherungsprodukte bieten –„mit nur einem Klick“. Ein Klick, den das Startup den Banken voraus haben dürfte.